Stärkung der Patientenrechte: Fixierung von Patienten ohne richterliche Entscheidung ist verfassungswidrig!
BVerfG, Urteil v. 24. Juli 2018, Az. 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16
Das Problem:
Im Rahmen einer Heilbehandlung kommt es insbesondere in psychiatrischen Einrichtungen häufiger als tatsächlich erforderlich zu Fixierungen von Patienten. Dabei umfasst die Fixierung insbesondere das Festbinden des Patienten (sogenannte 5-Punkt-Fixierung oder 7-Punkt-Fixierung), aber auch die Verwendung eines Bettgitters und die Gabe von sedierenden Medikamenten.
Die Fixierung von Patienten greift in zahlreiche verfassungsrechtlich geschützte Grundrechte ein und bedarf daher einer besonderen Rechtfertigung. Besonders betroffen sind die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs.1 GG), der körperlichen Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie die grundrechtlich geschützten Rechte auf körperliche Unversehrtheit und Leben (Art. 2 Abs. 2 S.1 GG).
Aus dem Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt, dass es eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage geben muss, die solch schwerwiegende Eingriffe ermöglicht. Der Erlass von Gesetzen, die die Voraussetzungen für Freiheitsentziehende Maßnahme zu Lasten der Bürger regeln, ist Ländersache. Daher existieren in Deutschland in jedem Bundesland entsprechende und teilweise sehr unterschiedliche Regelungen.
Die Entscheidung:
In seiner aktuellen Entscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG Urteil v. 24. Juli 2018, Az. 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16) klar, dass jedenfalls die in Bayern und Baden-Württemberg existierenden Gesetze verfassungswidrig sind. Es wurde festgestellt, dass § 19 BayUnterbrG einerseits nicht hinreichend bestimmt ist und die Rechtsgrundlage andererseits keine richterliche Anordnung vorsieht. Auch § 25 PsychKHG BW beinhaltet ebenfalls keinen Richtervorbehalt und enthält auch keinen Hinweis auf die Möglichkeit der richterlichen Überprüfung für den Betroffenen.
Entschieden wurde daher, dass zukünftig für eine Fixierung grundsätzlich eine richterliche Genehmigung erforderlich ist. Voraussetzungen der Verfassungsmäßigkeit sind nach dieser BVerfG-Rechtsprechung, dass die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hinreichend bestimmt ist und die materielle Voraussetzungen und Verfahrensvoraussetzungen zur Wahrung der Grundrechte der Patienten beachtet werden. Konkret bedeutet dies, dass es zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer verpflichtenden Anordnung durch einen Arzt bedarf und in der Regel die ständige persönliche Begleitung der Maßnahme im Sinne eines Sicht- und Sprechkontakts gewährleistet werden muss. Dies ist zu dokumentieren. Auch betreffend die Indikation und die Art und Dauer der Fixierungsmaßnahme besteht eine Dokumentationspflicht.
Allerdings erachten die Karlsruher Richter weiterhin eine nur kurzfristige Fixierung für nicht genehmigungspflichtig und nennen diesbezüglich einen Zeitraum von 30 Minuten. In diesem Fall ist die Genehmigung jedoch nachträglich noch einzuholen. Begründet wird dies damit, dass eine entsprechende ärztliche Anordnung im Einzelfall erforderlich sein kann, um den Patienten oder auch Dritte zu schützen. Zeitlich darüber hinausgehende Fixierungen erfordern jedoch nun eine richterliche Genehmigung. Dies soll dadurch praktisch umgesetzt werden können, dass ein richterlicher Bereitschaftsdienst in der Zeit von 6 bis 21 Uhr eingerichtet wird, damit auch tatsächlich zeitnah über die Fixierung entschieden werden kann.
Folgen der Entscheidung:
Bayern und Baden-Württemberg müssen nun bis zum 30. Juni 2019 verfassungsrechtlich unbedenkliche Regelungen finden. Aktuell existieren allerdings auch in den übrigen Bundesländern überwiegend ebenfalls verfassungswidrige Regelungen, so dass auch diese aktiv werden sollten:
Das Berliner BE PsychKG normiert beispielsweise keinen Richtervorbehalt, wenn die Maßnahme unter 18 Stunden dauert bzw. nicht regelmäßig wiederkehrend ist (vgl. § 39 Abs. 5 S. 2 BE PsychKG).
Auch in Brandenburg enthält § 21 BbgPsychKG ebenfalls keinen Richtervorbehalt. Positiv zu erwähnen ist immerhin, dass gewisse Maßnahmen eine zeitlichen Begrenzung unterliegen (vgl. § 21 Abs. 3 S. 3 BbgPsychKG).
Nach dem Bremer PsychKG dürfen Fixierungsmaßnahmen mit Medikamenten sogar von nichtärztlichen Mitarbeitern angeordnet werden. Die ärztliche Entscheidung ist lediglich unverzüglich nachzuholen, § 31 Abs. 2 S. 2PsychKG. Einen Richtervorbehalt ist ebenfalls nicht normiert.
In Hamburg ist eine vorläufige Fixierung durch Anordnung einer Pflegekraft möglich, sofern unverzüglich die Entscheidung eines Arztes herbeigeführt wird, § 18 Abs. 2 S. 2 HmbPsychKG. Sofern die Fixierung länger als 12 Stunden dauert, ist die Zustimmung eines weiteren Arztes bzw. des ärztlichen Leiters notwendig (§ 18 Abs. 2 S. 3 HmbPsychKG), jedoch ebenfalls keine gerichtliche Entscheidung.
Hessen fordert in § 21 Abs. 4 PsychKHG immerhin die „Gewährleistung einer ärztlichen Mitwirkung und Überwachung“. Ein Richtervorbehalt ist jedoch auch dort nicht normiert. Auch ist die Norm nicht hinreichend genug bestimmt, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden.
Nicht anders ist es in Mecklenburg-Vorpommern. Auch die dortige Regelung (§ 21 PsychKG M-V) sieht keine richterliche Prüfung vor. Positiv ist jedoch zu bemerken, dass fixierte Personen zumindest ständig beobachtet werden sollen, § 21 Abs. 6 PsychKG M-V.
Auch in Rheinland-Pfalz wird eine gerichtliche Entscheidung nach § 19 PsychKG nicht benötigt. Zudem entspricht die Norm nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz, da wesentliche Maßnahmen (Fixierung) nicht hinreichend definiert sind. Eine ärztliche Anordnung wird ebenfalls nicht gefordert. Vielmehr dürfen selbst „sonstige mit der Aufsicht beauftragte Personen“ unmittelbaren Zwang anwenden, § 19 Abs. 1 PsychKG.
Die in Sachsen geltende Vorschrift des § 11 UBG ist ebenfalls nicht hinreichend bestimmt genug. Unmittelbaren Zwang dürfen (offensichtlich jegliche!) Mitarbeiter psychiatrischer Einrichtung vornehmen, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit innerhalb der Einrichtung erforderlich ist, § 11 Abs. 1 S. 3 UBG. Einzelne Maßnahmen sind nicht aufgeführt. Gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 UBG bedarf eine ärztliche Zwangsmaßnahme der Anordnung eines Betreuungsgericht.
In Schleswig-Holstein enthält die gesetzliche Regelung in § 16 PsychKG auch keinen Richtervorbehalt. Selbst wenn ein Patient mehr als 12 Stunden fixiert ist bzw. erneut fixiert werden muss, ist lediglich die Zustimmung des ärztlichen Leiters erforderlich. Auch eine Beobachtungspflicht ist nicht normiert.
In Niedersachsen dürfte mit § 21c NPsychKG tatsächlich eine verfassungskonforme Vorschrift existieren. Denn die Beobachtung des Patienten, entsprechende Dokumentation, die Erforderlichkeit einer ärztlichen Anordnung sowie die Einholung einer gerichtlichen Entscheidung sind ausdrücklich und hinreichend bestimmt normiert.
Gleiches gilt für Nordrhein-Westfalen. § 20 PsychKG NRW entspricht inhaltlich der niedersächsischen Regelung und dürfte damit ebenfalls verfassungskonform sein. Auch die saarländische Regelung in § 31 SächsPsychKG ist unter Berücksichtigung der o.g. Voraussetzungen grundsätzlich verfassungskonform. Eine ärztliche Anordnung, gerichtliche Entscheidung sowie eine Dokumentationspflicht sind im SächsPsychKG normiert. Lediglich eine dauerhafte Beobachtungspflicht ist nicht ausdrücklich geregelt.
Thüringen fordert in § 14 ThürPsychKG eine ärztliche Anordnung, Überwachung sowie die Hinzuziehung eines Gerichts. Demnach ist die Vorschrift verfassungskonform.
Fazit:
Es ist daher festzustellen, dass die Regelungen der Länder weit überwiegend nicht den hohen Anforderungen des BVerfG zum Schutz psychisch erkrankter Personen entsprechen. Neben Bayern und Baden-Württemberg sind die Regelungen in 9 weiteren Bundesländern verfassungswidrig.
Sollten Sie oder ein Angehöriger hiervon betroffen sein, sollten Sie einen spezialisierten Patientenanwalt aufsuchen. Dieser wird Ihren Fall prüfen und Sie bei der Durchsetzung Ihrer Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche unterstützen.
Anne Ziegler, LL.M.
Dipl. Wirtschaftsjuristin (FH)
Tätigkeitsschwerpunkt Medizin- & Arzthaftungsrecht