Arzthaftungsrecht
Gemessen an der Zahl der insgesamt durchgeführten Behandlungen kommen ärztliche Behandlungsfehler nicht oft vor; wahrscheinlich nur genau so oft, wie Fehler bei Anwälten oder Steuerberatern. Dennoch kann auch dem sorgfältigsten Arzt, insbesondere wenn er in den „schneidenden“ Disziplinen tätig ist, gelegentlich ein Fehler unterlaufen, der mit gravierenden Schäden für den Patienten verbunden ist.
Andererseits ist die absolute Anzahl der Behandlungsfehler erschreckend hoch und das Ausmaß der sich daraus ergebenden Problematik nur wenigen bekannt. Dies wird deutlich, wenn man die Zahl der Verkehrstoten mit der Zahl der Behandlungsfehlertoten vergleicht. Nach der letzten ADAC-Statistik hat es im Jahre 2013 etwa 3.300 Verkehrsopfer im Straßenverkehr gegeben. Im gleichen Zeitraum sind nach einer Statistik der ADK 19.000 Personen an Behandlungsfehlern gestorben. Rechnet man die Zahl der Todesfälle von Patienten hinzu, die an nosokomialen Keimen (Klinikkeimen) versterben (15.000 im Jahr), ergibt sich eine absolute Zahl von 34.000 Medizintoten – das heißt mehr als 10 Mal so viel wie Verkehrstote (Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden 2013, ADK Bundesverband, Ergebnis der Pressekonferenz vom 20.01.2014 in Berlin, Krankenhausreport 2014). Auf dem Gebiet des Medizinrechts ausschließlich für Patienten tätige Anwälte findet man im Gegensatz zu Verkehrsrechtsexperten selten.
Die erste Anlaufstelle – der Hausarzt
Die erste Anlaufstelle für Fragen in einem solchen Fall ist der Hausarzt als Arzt des Vertrauens. Dem Patienten mangelt es in der Regel an Spezialwissen, um einerseits einen Kunstfehler überhaupt zu erkennen und andererseits sich daraus ergebende Ansprüche durchzusetzen. Ihm ist der Einblick in das Tun der Ärzte nur begrenzt möglich – das gilt insbesondere, wenn ein Eingriff unter Ausschaltung des Bewusstseins (Narkose) vorgenommen wird (vgl. dazu Ziegler: „Ausforschungsbeweis, Amtsermittlung und Symptomtheorie im Arzthaftungsrecht“ – Zeitschrift für das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht 02/04, S. 68 ff.).
Darüber hinaus müssen dem Patienten Arztbriefe oder Operationsberichte ins Deutsche übersetzt werden, weil selbst der gebildete Patient die ärztliche Fachterminologie, die sich inzwischen als Sammelsurium lateinischer, griechischer, französischer und englischer Begriffe darstellt, nicht versteht (vgl. Ziegler: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“, Versicherungsrecht 2002, Heft 13, S. 541 ff.).
Es ist dann die Aufgabe des Hausarztes, den Patienten „reinen Wein“ einzuschenken. Dazu sind immer mehr Hausärzte auch bereit. Sie sind es Ihren Patienten auch schuldig. Versicherungsrechtliche Gründe stehen noch nicht einmal beim Behandler selbst einer vernünftigen Aufklärung entgegen. Durch eine Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes zum 1.1.2008 wurde klargestellt, dass „eine Vereinbarung, nach welcher der der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn ohne seine Einwilligung der Versicherungsnehmer (Arzt) den Dritten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt, unwirksam ist“ (§ 105 VVG).
Darüber hinaus ist der Arzt auch nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) gehalten, den Sachverhalt beim Behandlungsfehler ordnungsgemäß offen zulegen (§ 138 ZPO).
Juristische Hürde
Ist der Sachverhalt geklärt und ein Behandlungsfehler nicht auszuschließen, stehen Hausarzt und Patient vor der zweiten Hürde – der juristischen.
Im Altertum galt Krankheit als Gottesstrafe. Der Patient verstand sich als Kranker, Leidender und Bestrafter, so dass eine rechtliche Inanspruchnahme des Arztes selbst bei fehlerhafter Behandlung kaum denkbar war. Bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts ist es dabei geblieben, dass Patientenklagen eher die Ausnahme als die Regel waren. Es stand für den Patienten überhaupt nicht zur Diskussion, gegen den Arzt vorzugehen. Das hat sich inzwischen geändert. Das frühere Ungleichgewicht im Arzt-Patienten-Verhältnis ist heute im Wesentlichen beseitigt.
Waffengleichheit
Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Beweislastverteilung im Arzthaftungsprozess aus dem Jahre 1979 wurde das Prinzip der Waffengleichheit im Arzthaftungsprozess eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht vertritt die Auffassung, dass die bisherige Verteilung der Beweisführungs- wie der Beweislast im Arzthaftungsprozess typischerweise zum Vorteil des Arztes oder des Krankenhausträgers ausschlug. Um die vom Bundesverfassungsgericht geforderte « Waffengleichheit » zu verwirklich, hat die Rechtsprechung inzwischen Beweiserleichterungen für den Patienten geschaffen und die Rechte des Patienten auch in anderen Bereichen entscheidend gestärkt. Zwar muss der Patient im Arzthaftungsprozess – wie jeder Kläger im Zivilprozess- grundsätzlich alle anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen, die Besonderheit des Arzt-Patienten-Verhältnisses hat aber dazu geführt, dass die Rechtsprechung im Bereich der groben Behandlungsfehler bei der Nichtbeachtung von Richt- bzw. Leitlinien (vgl. Ziegler „DIN in der Medizin“ – Qualitätsmanagement in Klinik und Praxis 5/2002, S. 133 ff) , bei der Nichteinhaltung des so genannten Facharztstandards, bei Dokumentationsmängeln, bei sicher beherrschbaren Risiken (Lagerungsfehler, Wartungsfehler, Hygienemängel) und bei mangelnder Aufklärung die Beweislast heute zugunsten des Patienten umkehrt bzw. Beweiserleichterung schafft. Am 26.03.2013 ist das Patientengesetz in Kraft getreten, in dem die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze aufgegriffen wurden und Gesetzeskraft bekommen haben (§§ 630a bis 630f BGB).
Auch im strafrechtlichen Bereich hat sich die Situation geändert. Inzwischen ist es auch zu zahlreichen spektakulären strafrechtlichen Verurteilungen von Ärzten gekommen. Ärzte scheuen sich nicht mehr, gegen Ärzte Strafanzeigen wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung zu erstatten.
Die Rechtsprechung im Arzthaftungsrecht ist gefestigt. Geschädigte Patienten finden juristisch mittlerweile eine zufriedenstellende Situation vor.