ARZTHAFTUNGSRECHTHILFE BEI BEHANDLUNGSFEHLERNRECHTSTIPPS

Arzthaftung: Aufklärung über Behandlungsalternativen

Arzthaftung: Aufklärung über Behandlungsalternativen

Aktuelle Entscheidung des obersten Berliner Gerichtes für Arzthaftungsangelegenheiten: Arzt muss Patienten auch über Behandlungsalternativen der „zweiten Wahl“ aufklären!
(KG, Urt. v. 13.03.2017 – 20 U 238/15, ZMGR 4/2017, 244-248)

Hintergrund:

Nach ständiger Rechtsprechung ist auch der ärztliche Heileingriff eine Körperverletzung, wenn der Patient nicht wirksam eingewilligt hat (§ 630d BGB) und der Eingriff daher nicht gerechtfertigt ist. Entscheidend für die Wirksamkeit der Einwilligung ist eine ordnungsgemäße Aufklärung. Diese hat den Anforderungen des § 630e BGB zu entsprechen. Dort heißt es:

  1. Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
  2. Die Aufklärung muss
    1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält,
    2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,
    3. für den Patienten verständlich sein.
      Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.

Hieraus wird deutlich, dass der Umfang der Aufklärung eine entscheidende Bedeutung in Arzthaftungsangelegenheiten einnimmt.

Der Fall:

Unser Mandant erschien in unserer auf Medizinrecht spezialisierten Anwaltskanzlei um sich durch einen Patientenanwalt im Hinblick auf Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche beraten zu lassen. Er schilderte folgenden Sachverhalt:

Anlässlich zuvor symptomloser und lediglich zufällig anlässlich einer Knieverletzung bei ihm diagnostizierter Herzrhythmusstörungen bat unser Mandant bei der Beklagten um einen Untersuchungstermin. Aufgrund der zuvor übersandten Krankenunterlagen wurde er daraufhin unmittelbar telefonisch zur stationären Therapie seiner Herzrhythmusstörungen einbestellt. Der Arzt teilte unserem Mandanten am Morgen des Eingriffstages mit, eine elektrophysiologische Herzkatheteruntersuchung (EPU) durchführen zu wollen und anschließend die die Herzrhythmusstörungen verursachende Reizleitung zu veröden (Katheterablation). Sie legte ihm in der Hektik der Operationsvorbereitungen im Patientenzimmer einen Aufklärungsbogen zur Unterschrift vor. Weder über Risiken noch über Behandlungsalternativen wurde gesprochen. Während des Eingriffs wurde das Herz unseres Mandanten schwer verletzt (AV-Block 3. Grades). Das Herz unseres Mandanten war nach der Behandlung nicht mehr in der Lage ausreichend schnell zu schlagen, so dass die Implantation eines Herzschrittmachers erforderlich wurde.

Die Aufklärung am Eingriffstag selbst erfolgte weder mündlich (§ 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB) noch rechtzeitig (630e Abs. 2 Nr. 2 BGB). Auch der Inhalt der Aufklärung genügte aufgrund von verschiedenen Behandlungsalternativen nicht den Anforderungen des § 630e Abs. 1 S. 2 BGB.

Denn neben der invasiven Verödung der Reizleitung wäre es ebenfalls möglich gewesen, unseren Mandanten zunächst konservativ medikamentös zu behandeln. Zudem hätte auch zunächst die diagnostische Herzkatheter-Untersuchung durchgeführt und deren Ergebnis und die weitere Vorgehensweise anschließend mit unserem Mandanten besprochen werden können und müssen.

Bisherige Rechtsprechung – „Echte Behandlungsalternative“

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) ist die Wahl der Behandlungsmethode grundsätzlich Sache des Arztes, jedenfalls solange diese dem medizinischen Standard entspricht. Bisher war es lediglich erforderlich, den Patienten über „echte“ Behandlungsalternativen aufzuklären. Unter einer „echten Behandlungsalternative“ sind einerseits gleichwertige Behandlungen zu verstehen, andererseits jedoch auch solche, die zu unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Dabei durfte der Arzt bisher auch nach dem sogenannten „Goldstandard“ behandeln, ohne auf zweitklassige Behandlungsalternativen hinweisen zu müssen.

Aktuelle Rechtsprechung des KG:

Das Kammergericht in Berlin ist das älteste deutsche Gericht mit ununterbrochener Tätigkeit und das höchste Gericht der Berliner Gerichtsbarkeit (Oberlandesgericht).

Anlässlich eines mit unserem Fall nahezu identischen Arzthaftungsprozess hat das Kammergericht nun entschieden, dass eine Aufklärungspflicht eben nicht mehr nur im Hinblick auf „echte Behandlungsalternativen“ besteht, sondern erheblich weiter zu fassen ist. In dem Leitsatz der Entscheidung heißt es:

„Eine aufklärungspflichtige Behandlungsalternative im Rechtssinne liegt auch dann vor, wenn der in Betracht kommende Ansatz vom Sachverständigen lediglich als „zweite Wahl“ klassifiziert wird, er den Ansatz im konkreten Fall jedoch als mögliches Vorgehen erachtet.“

In dem vom KG zu entscheidenden Fall hatte die dortige Klägerin in ihrer mündlichen Anhörung glaubhaft geschildert, dass sie sich bei ordnungsgemäßer Risikoaufklärung und ordnungsgemäßer Aufklärung über mögliche konservative Behandlungsalternativen sicher gegen die Operation und für die Behandlung mit Medikamenten entschieden hätte, auch wenn ihre Beschwerden durch eine konservative medikamentöse Behandlung möglicherweise nur vorübergehend hätten behandelt werden können.

Fazit:

Aufgrund der Komplexität des menschlichen Organismus und dem grundsätzlich sehr weiten Ermessensspielraum der Ärzte ist es häufig schwierig, einen Behandlungsfehler durch Einholung eines Sachverständigengutachtens medizinisch nachzuweisen.

Anders liegen die Dinge im Bereich der Aufklärungsfehler. Hierbei handelt es sich in der Regel um eine überwiegend juristisch zu bewertende Fragestellung. Hiervon haben die Ärzte in der Regel keine Ahnung. Das haben sie nicht studiert.

Kommt aus medizinischer Sicht auch eine Behandlungsalternative „zweiter Wahl“ in Betracht, so handelt es sich hierbei um eine aufklärungspflichtige Tatsache. Klärt der behandelnde Arzt nicht ordnungsgemäß auf, stellt die fragliche Behandlung mangels wirksamer Einwilligung eine rechtswidrige Körperverletzung dar und der Arzt haftet.

Ein auf Arzthaftungsrecht spezialisierter Patientenanwalt kann Sie in Ihrem individuellen Fall beraten und Sie bei der Einholung eines medizinischen Gutachtens zur Frage nach etwaigen Behandlungsalternativen sowie bei der Durchsetzung Ihrer Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüchen unterstützen.

Anne Ziegler, Dipl. Wirtschaftsjuristin (FH)
Tätigkeitsschwerpunkt Medizin- & Arzthaftungsrecht

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